Das Gesamtsystem zur Gesunderhaltung der Pflanzen im Öko-Obstbau

Der Verordnung VO (EU) 2018/848 zum Ökologischen Landbau liegen die Grundprinzipien des Ökologischen Landbaus zugrunde, die sich auch in den vom Weltdachverband IFOAM definierten Prinzipien „health, ecology, fairness and care“ wiederfinden. Land- und Lebensmittelwirtschaft werden als ganzheitliches Gesamtsystem verstanden.

Der Ökologische Landbau hat unter anderem ausdrücklich zum Ziel, die Stabilität und Biodiversität von Agroökosystemen sowie die Fruchtbarkeit der landwirtschaftlich genutzten Böden zu erhöhen. Management-Maßnahmen sollten vor Off-Farm Inputs Vorrang haben. Die Abhängigkeit von Off-Farm-Inputs sollte so gering wie möglich sein.

Grfaik - die drei Säulen der Pflanzengesundheit im Ökologischen Landbau

Abbildung: Die drei Säulen der Pflanzengesundheit im ökologischen Landbau

Die Anbaustrategie zur Gesunderhaltung der Kulturpflanzen im ökologischen Landbau besteht aus folgenden Bausteinen:

  • Nutzung und Förderung funktioneller Biodiversität
    Berücksichtigung und Nutzung der genetischen Vielfalt bei der Sortenwahl und –züchtung, Schonung und Förderung von wichtigen Nützlingen und der Artenvielfalt
  • Managementmaßnahmen zur Reduktion des Auftretens von Schädlingen und Krankheiten (z.B. Fruchtfolge, Sortenwahl, Anlagenhygiene, organische Düngung) sowie zur allgemeinen Gesunderhaltung der Pflanzen
  • Inputs in Form von Pflanzenbehandlungsmitteln oder Energie für mechanische oder thermische Maßnahmen.

Diese drei Bausteine greifen in ganzheitlich angelegten Managementsystemen ineinander und können oft nur im Verbund zu einem ausreichenden Erfolg führen.

Pflanzenbehandlungsmittel (dies wird als Oberbegriff für alle Mittel, die mit einer Spritze ausgebracht werden, verwendet, also für Pflanzenschutzmittel, Pflanzenstärkungsmittel, Grundstoffe, Blattdünger und Pflanzenhilfsmittel) dürfen im ökologischen Obstbau also ausgebracht werden – auch im Öko-Obstbau wird „gespritzt“. Allerdings dürfen laut EG-Öko-Verordnung nur natürlich vorkommende oder naturidentische Stoffe eingesetzt werden. Hintergrund ist die Risikominimierung nach dem Vorsorgeprinzip: „Künstliche“, oft als „chemisch-synthetisch“ bezeichnete Substanzen sind völlig neue Moleküle. Ihr Verhalten in Ökosystemen, die wir weder heute noch künftig vollständig verstehen und abbilden können, ist niemals völlig vorhersehbar. Das unkalkulierbare Risiko „künstlicher“ Substanzen und deren Wechselwirkungen untereinander möchte der Öko-Landbau nicht eingehen. In der Ablehnung unkalkulierbarer Risiken begründet sich auch die Ablehnung der Gentechnik. Aber auch nicht jeder Natur­stoff ist per se für die Anwendung als Pflanzenbehandlungsmittel und für den ökologischen Anbau geeignet. Hier muss im Einzelfall sorgfältig abgewogen werden.

Grafik - Kriteren Auswahl Sorten Pflanzenbehandlungsmittel

Abbildung: Kriterien für die Auswahl von Sorten und Pflanzenbehandlungsmitteln im Ökologischen Obstbau

Im Gesamtsystem der ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft haben vor allem folgende Bausteine einen wesentlichen Einfluss auf die Anbaustrategie zur Gesunderhaltung der Kulturpflanzen:

  • Angepasste Qualitätskriterien
    Hohe Ansprüche an innere Qualität, bei der äußeren Qualität z.B. Akzeptanz von kleineren Schalenfehlern (z.B. Berostung), die die innere Qualität nicht beeinträchtigen.
  • Faire Partnerschaften
    Faire Partnerschaften mit Handel und Verbrauchern mit fairen Preisen für alle. Partnerschaftliche Zusammenarbeit der Obstbauern untereinander (z.B. Teilen von Erfahrungen mit neuen Strategieansätzen). Zugänglichkeit von Ressourcen für alle (z.B. Sortenkonzepte).
Grafik - Bausteine der Gesamtstrategie

Abbildung: Bausteine der Gesamtstrategie zur Gesunderhaltung der Pflanzen im Ökologischen Landbau

Foto Sortendiskussion 2005
Sortendiskussion im Arbeitsnetz Ende 2005

Seit die ersten Öko-Obstbauern auf die ökologische Wirt­schafts­weise umgestellt haben, haben sie das Anbausystem mit viel Mut und Pioniergeist Schritt für Schritt entwickelt und ausgebaut. Von Anfang an setzten sie dabei auf die Zusammenarbeit und den Austausch mit den – am Anfang wenigen – gleichgesinnten Berufskollegen. Nach und nach wurde in den einzelnen Regionen eine spezifische Beratung und Versuchsanstellung zum ökologischen Obstbau etabliert.

Anfang 2004 wurde im Rahmen der BÖLN-Projekte 03OE178 und 06OE100 von FÖKO e.V. ein Netzwerk aus 22 gewählten delegierten Praktikern, Beratern, Versuchsanstellern und Verbandsvertretern ins Leben gerufen. Dieses Arbeitsnetz wird inzwischen von der FÖKO e.V. selbst getragen. In diesem Rahmen wurden und werden Strategieansätze zur Weiterentwicklung des Anbausystems diskutiert und die Umsetzung initiiert. Ziel ist immer eine verbesserte Orientierung an den Grundprinzipien des ökologischen Anbaus.

Ziel ist auch, aus der lebendigen Vielfalt der Betriebstypen und Anbaustrategien ein vielfältiges Spektrum an Strategien zur Weiterentwicklung des Gesamtsystems zu generieren. Die Anfänge hierzu werden in den Forschungsanstalten oft in Zusammenarbeit mit Pionierbetrieben oder auch auf den Betrieben selbst gemacht. Wenn sinnvoll, wie etwa bei der Markteinführung neuer robuster Sorten oder der Ökologischen Züchtung, schließen sich mehrere Betriebe und Versuchsansteller zu Arbeitsgruppen zusammen, die einen bestimmten Prozess gezielt austesten und voranbringen. Viele Öko-Obstbauern leisten so Pionierarbeit, von der alle profitieren.

Bei der Gesunderhaltung der Kulturpflanzen liegt der Arbeitsschwerpunkt auf der Optimierung auf der Minimierung des Inputs und der Nebenwirkungen (z.B. Ersatz von Kupferpräparaten durch Präparate mit insgesamt günstigeren Eigenschaften) bei gleichbleibendem oder möglichst höherem Output.

Ein Beispiel für eine solche Strategie stellt der Anbau schorfwiderstandsfähiger (schowi) Sorten dar. Bei der Dauerkultur Obstbau muss ein neuer Strategieansatz allerdings über längere Zeit beobachtet werden bevor sein Potential wirklich abgeschätzt werden kann. So haben auch die schorfwiderstandsfähigen (schowi) Sorten nicht alle anfänglichen Hoffnungen erfüllt. Sie sind aber ein wichtiger erster Schritt, dem allerdings weitere folgen müssen.

Die Weiterentwicklung der Qualitätskriterien und der Zusammenarbeit in fairen Partnerschaften untereinander und mit Handel und Verbraucher ist eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Weiterentwicklung der Anbaustrategie nach den Grundprinzipien des ökologischen Landbaus. Gelingt dies nicht, wird eine weitere Entwicklung der Anbaustrategie in eine Richtung angestoßen, die den Grundprinzipien des ökologischen Anbaus deutlich weniger entspricht.

Natyra-Gruppe im Jahr 2015
Natyra-Gruppe im Jahr 2015